Industrie 4.0: Roboter gefährden Jobs
Industrie 4.0: Roboter gefährden Jobs
Ein Bericht von Cornelia Uebel, Plusminus.de
Mit der Entwicklung einer neuen Robotergeneration sollen Arbeitnehmer in Zukunft entlastet werden. Doch die industrielle Revolution birgt auch Gefahren. Denn die Alleskönner beeinflussen durchaus auch den Arbeitsmarkt.
Er ist ein hilfsbereiter Bursche und hat immer gleich bleibende Laune, ein Alleskönner und praktisch immer einsatzfähig: Der Care-o-Bot. Sein Arbeitsplatz ist in einem Pflegeheim bei Stuttgart. Der Roboter kann unter anderem kellnern und Memory spielen. Erfunden wurde Care-o-Bot in Deutschland, von Wissenschaftlern des Fraunhofer Instituts für Haushalts- und Assistenzrobotik in Stuttgart. Care-o-Bot ist ein Prototyp. Sein Einsatz in Stuttgart ist ein befristeter Test. In nicht allzu ferner Zukunft werden Roboter wie er Pflegepersonal bei ihrer Arbeit unterstützen.
Neue Qualität auf dem Arbeitsmarkt
Industrie 4.0 und Big Data haben die Voraussetzung für die neue Robotergenerationen geschaffen. Sie führt zu einer neuen Entwicklung, einer anderen Qualität der Arbeitswelt: Die reibungslose Verschmelzung von Mensch, Maschine und digitalen Netzwerken zu komplexen autonomen Systemen. Nach der Dampfmaschine, der Elektrizität und dem Computer hat nun die Vernetzung der Dinge begonnen. Die vierte industrielle Revolution. Und sie dürfte wieder alles umwälzen. Wie wir lernen, wie wir arbeiten, wie wir leben. Und sie wird überall, nicht nur in Produktionshallen Einzug halten.
Birgit Graf ist Leiterin des Fraunhofer Forschungsteams, das die Pflegeheim- und Assistenzroboter entwickelt. Finanziert wird ihre Forschung mit Steuergeld. Aber sie arbeiten auch im Auftrag von Unternehmen, die sich vom Pflegemarkt eine große Nachfrage erhoffen. "Für Pflegeeinrichtungen ist es natürlich eine Entwicklung, die erst am Anfang ist. Aber das Potenzial und der Bedarf ist riesengroß. Die Pflegekräfte brauchen auch dringend Unterstützung bei ihrer Arbeit, um die auch weiterhin mit der gleichbleibenden Qualität durchführen zu können", sagt Graf. Ihre Erfindungen sollen Pflegekräfte entlasten - nicht entlassen. "Ein Beispiel ist eben der robotische Lifter, der mit entsprechender Unterstützungsfunktion ausgestattet ist. Das heißt, der Lifter nimmt die Person nicht selbstständig aus dem Bett auf. Er wird weiter noch von einer Pflegekraft bedient, aber er hilft ihr halt bei diesem Vorgang", so Graf.
Es gibt noch ein Prototyp: Ein Transportroboter, der lästige Wege in die Waschküche abnimmt. Der Roboter als unterstützendes System. Deutschland ist weltweit vorne. Das ist die eine Seite. Die andere: Wann macht er Arbeitskräfte überflüssig? Und zwar nicht nur ungelernte Hilfskräften im Niedriglohnsektor? Sondern ganze Berufsgruppen?
Risiko für Arbeitnehmer
In einem der großen Banktürme in Frankfurt am Main hat Carsten Brzeski sich mit den Folgen der Automatisierung und ihrer Auswirkung auf den Arbeitsmarkt beschäftigt. Brzeski ist Chefvolkswirt der IngDiba. "Für Deutschland sehen wir eigentlich zwei Geschichten: einmal Hilfsarbeiter, Hilfskräfte, die deutlich ein großes Risiko laufen in kurzer Zeit ihre Arbeitsplätze zu verlieren. Aber auch technische Fachkräfte. Das heißt, es sind nicht nur die absolut niedrig ausgebildeten Menschen, sondern es sind mittlerweile auch die höheren, vor allem technische Berufe, wo der Computer, der immer schlauer wird, der immer mehr Prozesse übernehmen kann, den Menschen langsam den Rang abläuft", sagt Brzeski. Grundlage für ihn war eine Studie von zwei britischen Wissenschaftlern. Sie haben die Automatisierbarkeit von über 700 Berufen berechnet. Und in Risikoklassen eingeteilt.
Bei Physiotherapeuten und Ärzten besteht ein geringes Risiko. Bei Autobahnpolizisten, Schlachtern, Marktforschern und Vermessungstechnikern liegt die Gefahr der Automatisierung ihrer Tätigkeit bei cirka 60 Prozent. Für Tierzüchter, Kassierer, Immobilienmakler, Kreditberater, Call-Center-Telefonisten besteht das höchste Risiko, dass Roboter ihre Arbeit übernehmen. 47 Prozent aller Arbeitsplätze in den USA, so die Studie, liegen in der höchsten Risikoklasse und könnten in den nächsten zehn bis 20 Jahren automatisiert werden. Und wie sieht es für Deutschland aus? Brzeski hat das nach derselben Methode der britischen Wissenschaftler Frey und Osbourne ausgerechnet. Wenn seine Schätzungen stimmen, dann wird die vierte industrielle Revolution gravierende Umwälzungen am Arbeitsmarkt zur Folge haben. "Wir sehen, wenn man Fey und Osbourne anwendet, auch auf Deutschland, dass insgesamt 18 Millionen Jobs in Deutschland potenziell von Automatisierung, von Computerisierung, von Digitalisierung gefährdet sind. Das wäre in Deutschland jeder zweite Beschäftigte. Die Entwicklung dorthin hat längst begonnen", so Brzeski.
Hier finden sie die Studienergebnisse der ING-DiBa
Billige Arbeitskräfte?
Die Industriemesse in Hannover zeigt, was heute schon für morgen geplant wird. Nicht nur in der rationalisierungsfreudigen Automobilindustrie. Hier gibt es den ersten vollautomatischen Küchenchef. Ein Roboter. Auch ein Prototyp – entwickelt für den Privathaushalt. Programmiert ist er auf die Bewegungen eines britischen Spitzenkochs. Gefüttert wird er mit dessen Spitzenrezepten. Selbst wenn er kleckert, erklärt der Moderator, kleckert nicht der Roboter, sondern der Spitzenkoch, den er kopiert.
Die Automatisierung wird nicht nur die industrielle Produktion revolutionieren. Schule, Lehre, die ganze Ausbildung muss sich anpassen. Und es werden noch mehr Dinge grundsätzlich neu gedacht werden müssen. Ein Beispiel? In einem weiteren Roboter steckt noch ein echter Mensch. Der Roboterdarsteller bekommt für seinen Job auf der Messe Geld. Das er versteuert. Echte Roboter zahlen keine Steuern, keine Rentenversicherung und sonstige Sozialversicherungsabgaben. Auch die öffentlichen Finanzen, die Sozialversicherungen stehen vor der Herausforderung Industrie 4.0.
02.09.2015, Quelle: plusminus.de, Autorin: Cornelia Uebel