Bezirksblatt 2014 - 2

Herausgegeben am Donnerstag, 13. November 2014
zuletzt aktualisiert am Montag, 31. August 2020

rotestaktionen der  Kollegen bei VCS in Göppingen – Faurndau gegen die geplante Verlagerung der Arbeitsplätze nach Mannheim

13.11.2014        Protest gegen Schließungspläne der Telekom in Faurndau

Die 160 Beschäftigten der Telekom-Tochter VCS in Faurndau wehren sich weiterhin gegen die Auflösung ihres Standorts. Bei einer Kundgebung auf dem Göppinger Marktplatz forderten sie alternative Lösungen.

"Die Stimmung ist sehr bedrückt", berichtete der Betriebsratsvorsitzende Peter Welsch. "Zuerst waren wir in Schockstarre. So langsam besinnt man sich wieder." Aber jeder stehe vor der Frage: Wie geht es weiter? Mancher habe sich schon für die wenigen offenen Stellen beworben, so genannte "Landeplätze", von denen es bundesweit nur 700 gebe - für 2500 Betroffene. Welsch hat sich noch nicht beworben, er will abwarten, was die Stellenbörse bringt. Seine Forderung: dass sich die übrigen Servicegesellschaften der Telekom für die Arbeitsplatzverlierer öffnen.

Aber die Chancen schätzt Welsch eher gering ein. "Der Konzern will das nicht, er will, dass wir uns nach außen orientieren." Deswegen wolle die Telekom die Arbeitsplätze der VCS von drei Standorten nach Mannheim verlegen. "So dass wir gar nicht mehr mitkommen." Das sei ein Stellenabbau durch die Hintertür. Und genau darin stecke für die Telekom der Profit dieser Standortschließungen, erklärt Gewerkschaftssekretärin Christine Muhr. Die Begründung der Telekom, dass man eine höhere Betriebsgröße für die nötige Effizienz brauche, lässt sie nicht gelten. "Habgier und Raffgier" steckten dahinter.

Die Beschäftigten der VCS kommen aus weitem Umkreis

Der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende Hans-Dieter Adameit gehört zu den wenigen, für die ein Wechsel nach Mannheim "theoretisch" in Frage kommt. Er wohnt nämlich in Leonberg. "Von der Fahrtzeit her wäre das machbar", sagt er. "Aber wenn mich die Fahrkarte 400 Euro kostet, nicht."

Für Monika Kretschmer ist Mannheim kein Gedanke. Sie wohnt in Reutlingen, das wären 160 Kilometer. Sie ist schon belastet genug mit der Pendlerei nach Faurndau, als Alleinerziehende mit drei Kindern. Elf Jahre macht sie das schon. Es bleibe nicht mehr viel Lebensqualität, berichtet eine Kollegin aus Metzingen. "Ich komme heim, esse, schlafe beim fernsehen ein." Wie könne die Telekom die Leute nach Mannheim schicken wollen und dann noch volle Leistung erwarten? Gewerkschaftssekretärin Muhr malt das aus: kalte Bahnhöfe, auf denen man schon abgeschossen ankomme.

Es gibt auch Kollegen aus Aalen, Heidenheim, Ulm und Ehingen. Die Beschäftigten der VCS kommen aus weitem Umkreis. Sie haben ihre früheren Arbeitsplätze verloren, mancher sogar mehrfach. "Zweimal bin ich verkauft worden, einmal wurde geschlossen" - so ist es Adameit ergangen. Monika Kretschmer empfand es als Odyssee. "Wir sind das reisende Volk", verdeutlicht Betriebsrat Robert Klauser.

Ökonomisch und ökologisch mache die Schließung keinen Sinn, wirft Verdi der Telekom vor. "Wir lassen uns den Standort nicht einfach wegstreichen und die Beschäftigten zum Opferstock tragen", ruft Christine Muhr den knapp 70 Protestierenden zu. Ihre Forderung: Zurückführung der Leute in ihre früheren Arbeitsplätze, Sicherung des Standorts für eine Übergangszeit, Anrechnung von Fahrtzeit als Arbeitszeit, kollektive Regelungen für Härtefälle, Berücksichtigung der nicht wenigen Schwerbehinderten. Eine Verlagerung nach Mannheim produziere bei angenommenen 70 Pendlern 18.000 Mehrkilometer täglich. Da müsse sich die Telekom nicht damit schmücken, dass sie Handys umweltfreundlich entsorge.

Die Solidarität der Grünen bekundet Matthias Dreikluft. Die Abgeordneten Fritz (Grüne), Baehrens und Hofelich (SPD) haben die Telekom gebeten, die Pläne zu überdenken. Unterstützung bekommen die Demonstranten, die diesmal Unterschriften sammeln, auch von Passanten. Ein Ehepaar aus Uhingen findet es ein Unding, was den Telekom-Leuten zugemutet werde. "Hoffentlich habt ihr Glück", wünschen die beiden, und der Mann wettert über all den Stellenabbau im Filstal. Alt-DGB-Gewerkschaftschef Klaus Wiesenborn stößt in dasselbe Horn: "Seit 35 Jahren ist das Problem immer das Gleiche." Es seien sogar modernste Arbeitsplätze, die wegfallen sollen.

Zusatzinfo:

Auffanggesellschaft für wegrationalisierte Arbeitsplätze

Sammelbecken

Die Telekom-Tochterfirma "Vivento Customer Services" (VCS) ist eine Auffanggesellschaft für Telekom-Mitarbeiter, die ihren früheren Arbeitsplatz durch Rationalisierungen verloren haben. So kamen Techniker, Kaufleute und Kundenberater zu einem Sammelbecken, das sie für neue Aufgaben qualifizieren soll. Sie qualifizieren auch andere.

Reintegration

Aber das sei nur noch zum Teil die Praxis, sagt Gewerkschaftssekretärin Muhr. Die anderen würden wieder in ihren alten Berufen arbeiten, aber für Projekte als billigere Arbeitskräfte. Für die Gewerkschaft lautet deshalb die oberste Forderung: die VCS-ler wieder in ihre alten Arbeitsplätze mit tariflicher Bindung zurückzuführen. "Arbeit gibts genug", sagt Muhr.

Ein Kommentar von Jürgen Schäfer: Kaltes Kalkül

Was ist nur aus der Telekom geworden? Verkabelung ist für sie ein Fremdwort geworden, ihr Service hat das Niveau von Dritter Welt, weil sie am Personal spart. Und der Personalabbau wird munter immer noch weiter getrieben. Wie jetzt in Faurndau. Ein Standort mit 160 Arbeitsplätzen soll vom Filstal nach Mannheim verlagert werden. Wer nicht mitgeht, weil er an seinem Wohnort verwurzelt ist und die irrsinnige Fahrerei nicht mitmachen kann, geht über Bord. Das ist kaltes Kalkül. Man kann die Begründung der Telekom getrost vergessen, die da lautet: man müsse Standorte zusammenfassen, um die Effizienz zu steigern. Die Arbeit wird am Computer geleistet, und der kann überall stehen: in Faurndau, in Mannheim oder zuhause. Mehr Effizienz täte der Telekom gut, aber dafür bräuchte sie mehr Personal und nicht weniger. Was sie treibt, sieht mehr nach Kaputtsparen aus. Das ist aus der Telekom geworden: sie will ihre Gewinne steigern, die dann irgendwo landen, aber nicht bei der Verkabelung der Gemeinden. Was Betriebsrat und Gewerkschaft fordern, macht Sinn: die Beschäftigten in andere Konzernteile zu übernehmen oder den Standort für eine Übergangszeit weiterzuführen. Immerhin liegt das Durchschnittsalter bei 48. Der Ball liegt auch in der Politik. Der Bund ist ein beträchtlicher Anteilseigener der Telekom. Gut, dass sich Abgeordnete einschalten. Noch ist nicht alles verloren.          Quelle: swp.de